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1.1 Gaby's erster Auftritt

„Nun komm schon, beeil dich oder wir kommen noch zu spät!“

Mom wurde allmählich nervös, während ich lustlos hinterher schlurfte. Ich hatte an diesem weihnachtlichen Wohltätigkeitsrennen schon in den letzten zwei Jahren teilgenommen, beide Male in meinem normalen Renntrikot. Doch dieses Jahr bestand Mom darauf, daß ich mit ihr auf dem Tandem in einem Kostüm mitfahre. Nun, ich bin kein großer Verkleidungsfan, aber Mom zeigte wenig Verständnis und sagte, sie wisse genau die richtige Verkleidung für uns.

„Ich sehe darin einfach lächerlich aus!“

„Nein, tust du nicht. Komm her, ich ziehe deinen Lippenstift nach.“

Ich kam ihrer Aufforderung nach und erhaschte gerade noch einen flüchtigen Blick auf mich selbst im Spiegel. Zumindest, dachte ich, ist es nicht offensichtlich, daß das ich bin. Sobald wir erst einmal unterwegs wären, würde niemand wirklich sagen können, wer in diesem Kostüm steckte. Ach das Kostüm? Nun Mom hatte einen echten Knaller parat. Sie war als Xena verkleidet und ich als ihre blonde Begleiterin Gabrielle.

Jetzt hieß es Courage zu zeigen und so folgte ich ihr aus dem Wohnmobil. Wir stiegen auf das Tandem und rollten in den Startbereich. Ich kam mir schon komisch vor, mit meinem flatternden Rock, meinem wackelnden Busen und den langen blonden Locken die meinen Kopf umspielten. Obwohl ich mein normales Rennoutfit unter dem Rock trug fühlte ich mich irgendwie nackt.

Wir passierten einige Batmans, Ärzte, Krankenschwestern, Cowboys, Polizisten und viele andere mehr. Jeder von Ihnen hatte sich große Mühe gegeben um möglichst gut auszusehen. Die professionellen, unkostümierten Teilnehmer würden erst starten, wenn wir das erste Mal den Start/Zielbereich durchfahren hatten, auf unserem 2 Runden langen 10 Meilen Kurs. Wir hatten Startnummer 7 und kamen gerade rechtzeitig dank meiner Trödelei. Bis jetzt hatte keiner die Gelegenheit mich genauer anzuschauen.

„O.K. Miss?“ Fragte der Starter.

„Ähm, ja danke“

„Fertig Gaby?“

„Ja Mom,“

Ich hatte nicht wirklich zugehört und realisierte erst, als wir unterwegs waren, daß beide mich in der weib­lichen Form angesprochen hatten. Ich vermutete der Starter wußte es nicht besser, weil wir ja als Xena und Gaby angemeldet waren, aber Mom schon.

Nun begann ich mich mehr auf das Rennen zu konzentrieren und bald waren wir mit flotten 25 Meilen durch die Landschaft von Cheshire unterwegs. Mom ist nicht schlecht und ich weiß, trotz meines leichten Körperbaus, was ich leisten kann. Wir erreichten das eine Minute vor uns gestartete Pärchen Mickey Maus und Minnie, und kurz bevor wir die erste Runde beendeten, überholten wir auch die Keystone Cops.

Mittlerweile hatte ich völlig vergessen wie ich angezogen war. Wir wurden von den Zuschauern angefeuert und ich war zu sehr vom Radfahren in Anspruch genommen, um zu verstehen, was sie uns zuriefen. Wir waren gerade ungefähr eine Meile in unserer zweiten Runde, als wir von den ersten Profis (ebenfalls auf einem Tandem) eingeholt wurden. “Weiter so, Mädels“ rief ihr Lenker unüberhörbar, als sie uns langsam passierten.

Obwohl kein richtiges Rennen, hatten doch alle verkleideten Teilnehmer den Ehrgeiz, so schnell wie möglich zu fahren. Einige wurden zwar durch ihre aufwendigen Kostüme behindert, wie zum Beispiel die Tower-Bridge, aber unsere besser sitzenden Kostüme erlaubten es uns fast unbehindert zu fahren. Als wir das Ziel erreichten hatten wir noch drei weitere Teams überholt und wurden von den anderen Teams und den Zuschauern im Zielbereich frenetisch gefeiert.

Mom lenkte uns zurück zur Stadthalle und unserem Wohnmobil, doch bevor wir es erreichten wurden wir von einem Offiziellen angehalten.

„Tolle Fahrt Mädels, ich weiß, sie würden jetzt gerne duschen und sich umziehen, aber könntet ihr nicht bis zur Siegerehrung kostümiert bleiben?“

Mom antwortete sofort:

„Klar, kein Problem.“

„Vielen Dank, übrigens tolle Kostüme.“

Nun konnten wir zum Wohnmobil weiterfahren.

„Mooom, dann muß ich ja noch mindestens 'ne Stunde so rumlaufen“, jammerte ich.

„Da sind noch viele andere kostümierte Personen.“

„Ja, aber ich bin angezogen wie ein Mädchen!“

„Schau, viele Leute tun das für Wohltätigkeitsveranstaltungen, sieh doch, wie viele Männer sich für Spaßrennen und Marathons als Frauen verkleiden.

„Ja, aber...“

„Kein aber, außerdem siehst du nicht wie ein Junge in Mädchenkleidung aus, du siehst sogar richtig hübsch aus.“

„Mom!

„Doch tust du, jeder hier dachte das, wahrscheinlich denken sie sogar, daß du meine Tochter bist.“

Ich half meiner Mutter das Tandem zu verstauen und begab mich dann ins Innere um mich etwas aufzuwärmen. Trotz der Jahreszeit war es ausgesprochen mild, aber eine Stunde Rennen durch die Landschaft zu fahren reichte nicht aus um die Extremitäten zu erwärmen.

Mom bestand darauf, daß wir uns kurz waschen, weil wir das Duschen auf später verschieben mußten, denn wir stanken nach all den Anstrengungen die hinter uns lagen.

Mom zog ihre Sandalen mit hohen Absätzen und ihre Sportjacke an und gab mir ein flacheres Paar und einen Fleece-Pulli. Ich merkte nicht gleich, daß es Moms pinkiger war.

„Laß uns dein Gesicht noch ein bißchen schön machen, bevor wir hineingehen.“

„MOM!“

„Du willst doch nicht das dich jemand erkennt, oder?“

„Natürlich nicht!“

„Dann hör auf zu maulen“

Sie machte irgendwas über meinen Augen, erneuerte meinen Lippenstift und bevor ich mich versah stand ich in einer Parfümwolke aus ihrem Zerstäuber.

„Nun riechst du wenigstens nicht mehr so verschwitzt.“

Ich wußte, daß streiten nichts bringt würde, so zog ich die Sandalen an und folgte Mom in die Stadthalle. Zuhause wäre ich vor Scham gestorben, aber glücklicherweise waren wir nur für die Ferien hier, so daß ich sowieso niemanden kannte, obwohl ich im Sommer einige Rennen in dieser Gegend ge­fahren war.

Ich hielt mich dicht bei Mom und wir tauschten unsere Startnummern gegen eine Tasse Willkommenstee und eine Scheibe Stollen für jeden von uns ein. Wir gingen zur Ergebnisstafel und zu unserer Überraschung hatten wir die beste Zeit in der Kategorie „Kostüm“. Unsere 58 Minuten war fast genau so gut wie die von den meisten „seriösen“ Teilnehmern, die mittlerweile auch fertig waren. Meine Hoffnung auf Anonymität verschwand schnell, als andere Teilnehmer kamen und uns zu unserem Erfolg beglückwünschten. Mom, nun ja, sie kam sehr schnell mit anderen weiblichen Teilnehmern ins Gespräch und ich stand neben ihr und versuchte unsichtbar zu bleiben.

Das Problem war, als Gaby verkleidet, war ich nur schwer zu übersehen, speziell neben Mom in ihrem Xena-Kostüm. Mom hatte die Kostüme auf einer der Ausstellungen, die sie mit Dad besuchte, gefunden. Sie hatte das komplette Outfit mit Metall-BH an. Für etwas Wärme unter dem ziemlich kurzen Kleid hatte sie einen hautfarbenen Gymnastikanzug darunter an. Ich trug ebenfalls einen Gymnastikanzug, darüber ein Minikleid in einer Wildlederoptik und eine lange, lockige, blonde Perücke, die an meinen kurzen Haaren befestigt war. Mit den Sandalen, dem Make-up und dem mit Socken ausgestopftem BH fühlte ich mich mehr als unwohl.

„Vielen Dank, meine Damen und Herren, daß sie auch dieses Jahr wieder gekommen sind und uns unterstützen. Wir haben mittlerweile schon über 600 Pfund für den diesjährigen Empfänger, das Kinderhilfswerk, gesammelt.

Die Menge in der ich stand, klatschte und jubelte etwas.

„Wie sie alle wissen vergeben wir keine Preisgelder, weil sämtliche Einnahmen dem wohltätigen Zweck zugehen, aber unsere Sponsoren haben Preise für die Teilnehmer gestiftet damit sie auch nächstes Jahr wiederkommen.“

Noch mehr Gelächter und Beifall.

„Wir sind heute doppelt geehrt, Chris Jones vom Cycle Sport Magazin wird die Preise überreichen und Argos (die Lokalzeitung) wird Bilder machen und diese in der Weihnachtsausgabe veröffentlichen.“

Es folgte erneuter Applaus.

Dann begannen sie mit der Preisverleihung, die schnellsten Drei, der schnellste über 40, der beste unter 16, die beste Frau und die besten drei Tandemteams. Alle Namen der Gewinner wurden mit ihrer Zeit genannt und erhielten ihren verdienten Applaus, kannten sich doch die meisten Anwesenden.

„Nun kommen wir zum lustigen Teil, zu unseren kostümierten Teilnehmern. Ich muß sagen ohne ihre Anstrengungen wäre diese Veranstaltung nur halb so schön und sie haben dazu beigetragen das das Spendeneinnahmen durch ihre großartigen Kostüme nochmals zugenommen hat. Die Sieger für die Kategorie Kostüm in den beiden Gruppen Sport und Öffentlichkeit sind durch Abstimmung der Zuschauer zustande gekommen. Sie können alle sehr stolz auf sich sein!“

Donnernder Applaus. Ich wurde etwas kribbelig.

„Da wir die Kostüme höher bewerten als die sportliche Leistung, zeigt sich in den Preisen. So, hier die Gewinner in umgekehrter Reihenfolge...“

Er arbeitete sich durch die besten Einzelfahrer, die besten drei Kostüme in jeder Kategorie und ein Preis für die schnellsten Fahrer hindurch. Es war offensichtlich das Mom und ich, als schnellstes Team aufs Podium mußten, aber wir waren beide überrascht als es soweit war.

„Der Preis für das beste Kostüm und die beste Zeit auf dem Tandem geht an Xena und ihre Begleiterin Gaby. Kommen sie herauf meine Damen!“

Ich war wie vom Donner gerührt. Mom mußte mich beinahe auf die Bühne schleifen. Wir zogen unsere Jacken aus und standen dann vor der Menge, der Presse und unseren Mitstreitern.

Wir nahmen unsere Preise entgegen und ich war so verlegen, daß ich nicht einmal versuchte, die Vermutung des Ansagers, daß ich weiblich sei, zu korrigieren. Fotos wurden gemacht und dann wollte der Fotograf noch einige Gruppenfotos draußen machen. Endlich durften uns umziehen gehen.

Mom entschied das wir bei Grandma duschen würden, so verabschiedeten wir uns, um den Rest der Familie zu treffen, der für diesen Tag nach Chester gefahren war. Schließlich war heute der letzte Sonntag vor Weihnachten.

© Maddy Bell 15.01.2003 alle Rechte vorbehalten http://www.maddybell.com

© Für die deutsche Übersetzung Meri, Saphira und Sidonie Juni 2006 Revidieren Andreas und Saphira November 2009

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